Ulrich Brauchle – querfeldein

 
Malerei & Radierung
Stadtmuseum im Spital, Crailsheim / 19. Oktober – 18. November 2007
Eröffnung am Freitag, den 19.10.2007, 19.30 Uhr
Rede von Clemens Ottnad, Kunstverein Reutlingen

„Ulrich Brauchle – querfeldein“, das ist an und für sich ja schon selbsterklärend. Der Titel der Crailsheimer Ausstellung des 1971 in Ellwangen geborenen Künstlers bezeichnet damit Orte und Aktionen gleichermaßen, die bildnerische Auffassung und Herangehensweise ebenso wie die Wahrnehmung von Natur und Selbst – also das Ich in der Landschaft, das diese sieht und eigene Landschaften ausbildet – zugleich. Querfeldein kann in der Tat der Blick aus einem der Atelierfenster Ulrich Brauchles hoch oben vom Ellwanger Schloss über die Felder, Obstwiesen und Wolkenhimmel streifen, querfeldein fließen aber auch die zahlreichen im Kopfinneren angesammelten Eindrücke, Erinnerungen, das Anmuten von Natur zu selbstsinnigen Kopflandschaften zusammen. Ebendort türmen sie sich auf, verschichten sich, versprühen und locken, wehen an und verbreiten Gerüche, mal vom darinnen leise einsetzenden Regen, mal steigt uns wärmer klingend behände rot das Farbenrauschen selbst zu Kopf; – da den Betrachter nämlich ebenso querfeldein die hier gezeigten Arbeiten des Künstlers – aktuelle Malerei und jüngst entstandene Radierungen – durch die Ausstellung geleiten.

Dabei scheint die Malerei die EmpfindensOrte, Stimmungen, Verfasstheiten festzustellen, Vorgänge und Techniken der Radierung dagegen (auch das Anarbeiten gegen das Widerständige der Kupfer- und Zinkplatten, auch die zwangsläufigen Umkehrprozesse der Druckverfahren) die Handlungen, Bewegungs- und Denkrichtungen erst eben dorthin zeigen, die notwendigerweise die sie ausführenden Bildagenten voraussetzen. So ist der Malerei (der Farbe, der Fläche) die Landschaft vorbehalten, dem Linienspiel der grafischen Blätter – der Klarheit des Strichs und des Kontrastes von Schwarz und Weiss – wiederum weitgehend die Figur. Unversehens weisen damit die ganz selbständige, bezwingende Unmittelbarkeit Brauchles Bildsprache in Naturauffassung und Selbstwahrnehmen, Intuition wie Spontaneität, zurück auf kunsthistorische Traditionen der sogenannten peintre-graveurs, der Maler-Radierer also seit dem 18. Jahrhundert. Und so kann es kaum verwundern, dass bald nach dem Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart Mitte der 1990er Jahre, nach umfassenden Ausstellungen etwa an der Universität Tübingen, im Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft in Freiburg, in Galerien in Nordrhein-Westfalen (oder eben im Kunstverein Reutlingen) Ulrich Brauchle neben anderen Auszeichnungen im Jahr 2004 auch der Felix-Hollenberg-Preis für Druckgrafik zuerkannt wurde.

In diesen Landnahmen/Bilderoberungen allmählich angeeigneten Untersuchungsfeldern – gleichgültig, ob es sich um die Weiterentwicklungen tatsächlich gesehener Naturlandschaft oder imaginierter innerer Landschaften handeln mag – erzwingen in den so gänzlich verschiedenen Ausdrucksmedien allerdings entgegengesetzte Vorgehensweisen. Schicht um Schicht wird in der Malerei Farbe angelagert, verdichtet sich, scheint auch durch, tropft, zieht Schlieren, verweist auf Untergründe aber erst zurück, wenn diese durch Lappen, Fingerspitzen, Pinselstiele wieder an die sichtbare Oberfläche hervor gehoben werden. Gegen dieses Additive – gegen die Anlagerungen – aber gräbt sich bei der Radierung die Nadel in’s Metall, trägt Material ab, einschneidende Erlebnisse also, die nicht leichthin rückgängig zu machen sind, um entschiedene Schwärzen zu erzeugen und vorausschauend sorgsam Lichtfelder im Papier zu bewahren. Inmitten der genannten Beweggründe – zwischen dem (Hin)Zufügen und (Weg)Nehmen von Material, von Form, von Licht und Linie, von ganzen Flächen – finden sich sowohl der Bilderfinder selbst als auch der Betrachter, der erst durch es (das Bild und mithin auch ein anderes Es noch) hindurch finden muss, als Augenakteure – am gemeinsamen Ort – wieder.

Verbliebe man nun in einschlägiger kunstwissenschaftlicher Terminologie, so wäre der Künstler auch gar als Pleinairist zu nennen, der bekanntermaßen Leinwand, Papiere und Radierplatten (hier: Ulrich Brauchle querfeldein) durch die Natur schleppt, vor das Motiv (wie es dann gerne heisst), um dort den Pflanzengewächsen, Wetterwechseln und Jahreszeiten Licht, Farbe und Linienbildung abzulauschen. Der Begriff der Freiluft-Malerei erhält in seinem Fall jedoch weitere Dimension, da es nicht mehr nur allein um das Draußen-Sein in der Landschaft gehen kann, keine konventionellen Aussichtspunkte – Vista und Veduten – aufgesucht werden, sondern das Unterwegs selbst, die Orte zu wechseln und doch ganz auch mit diesen aufgesuchten, inneren Geografien verbunden zu sein; darin liegt ebenso „Freiluft“ (zum ungehinderten Atmen und Weiterdenken) feeisch versprochen, die Unmittelbarkeit von Wahrnehmung begründet, die sich später im Atelier zu eigenständigem Bildfinden wieder neu zu konstituieren vermag: als Sehenswürdigkeiten an den Innenseiten/Innenräumen von so Gefundenem, Gedachtem und wach Geträumten.

Dabei haben sich inzwischen die neuen großformatigen Malereien in ausgedehntere Farbfelder geweitet, nähern ihre dickicht wild verschlungene Vegetation an orthogonal orientierte Ordnungssysteme an, von kompakten Rundformen, Kreissegmenten und Farbtriangeln, die in jüngster Zeit häufiger vor weiss-hellen Horizonthimmelfonds zu stehen kommen. Vereinzelte Spuren menschlicher Kultivation – Zeichenkürzel von Lichtmasten, Wegserpentinen, Segelfahnen über dem See – bedeuten fast nurmehr im kleinen Format noch geringfügige Bildinterventionen des in der Umgebungswirklichkeit sichtbar Vorgefundenen. In jedem Fall abgelöst vom Diktat der Gegenstandsfarbe erscheinen Bildkomponenten wie etwa Wiesen, Waldstück, Felsgestein, Gewässer, Luft, jahres- und tageszeitliche Veränderungen ebenso wie unterschiedliche Lichtsituationen vom Taganbruch bis zur Dämmerung, von Nebelschwaden, Schneefeldern und den Regenschleiern mancher Tage neu gedacht, neu empfunden.

Ein etwaiges Ablesen topografischer, klimatischer oder vegetativer Seh- und Sinndetails ist aber allenthalben zum Scheitern verurteilt. Der Künstler dreht Leinwände noch im Arbeitsprozess selbst, die Landschaft steht dann kopfüber, die Horizontlinie wird aufgelöst, fällt in sich (querfeldein) zusammen, vormals Waagerechte stürmen so himmelwärts. Unmittelbar auch lösen sich Nahsicht und Weitblick ab und drängen die Konvention des Landschaftsbildes als räumlich prospektiv in den Hintergrund. Die Erfahrung von Weite und Tiefenausdehnung in der Natur wird durch diese ständigen Perspektivwechsel und die bildgewordene Gleichzeitigkeit mehrerer variabler Darstellungsausschnitte aufgelöst; Augenfund und Bildentwicklung entfernen sich so ständig voneinander weg und nähern sich umgehend wieder einander.

In dem auf diese Weise einsetzenden und andauernden Vibrieren, Schweben, Zwischendurch sind die Bildarbeiten von Ulrich Brauchle – sowohl ihr Urheber als auch die sie Betrachtenden – wiederzufinden, als selbstvergessene Wolkenwesen, in Flugversuchen verfangen, schwarz-stumm die bevorstehende Abfahrt erwartend, ein Handgesicht mitunter in Vogelhände verwandelnd (wenn Sie nur einmal der Namenpoesie von Radierungen vergangener Jahre folgen möchten). In Abwandlung des Projekttitels zu einer früheren Ausstellung des Künstlers kann man so angesichts der neuen hier gezeigten Arbeiten von einem offen-intuitiven Farblauschen und synästhetisch verwobenen Ideenlineamenten sprechen, die ihre Bildpassagiere (ihn und uns) in dauerhaft traumleichter Erdanziehung (auf)halten.



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