„Da hat alles seinen Platz“ *
von Dr. Sabine Heilig, im September 2019
Es muss nicht immer Farbe sein. Der Maler farbstarker Gemälde Ulrich Brauchle, auch bekannt durch seine exquisite Druckgrafik, hat noch mehr zu bieten, nämlich das Zeichensetzen. Seine Tuschpinselzeichnungen, hier erstmals publiziert, enthalten weniger gesehene Gegebenheiten als erdachte, verhalten sich also kongruent zu seiner malerischen Arbeit in Öl. Ihre Wesensgleichheit resultiert aus der selben Konzentration beim Wahrnehmen wie bei den Abstraktionen auf Leinwand, die in ihrer Überwindung der naturalistischen Illusion dem rein Malerischen ein Denkmal setzen. Brauchle schätzt die schwarze Flüssigkeit, die nach dem Trocknen wasserunlöslich ist, auf Grund ihrer nuancenreichen Einsatzmöglichkeiten. Die zeichnerische Führung der Tusche mit unterschiedlichen Werkzeugen lässt neben linearer Feinheit gerade jene malerischen Setzungen zu, die sein Werk insgesamt ausmachen wie die Freiheit im Duktus und die Stärke der Linienführung in der Gegenüberstellung mit den Flächen.
Die Tuschpinselzeichnung als monochromes Aquarell hat dabei den Vorteil, den Fokus durch den Verzicht auf die Farbe auf das Formale zu richten. Ulrich Brauchle knüpft dabei an die Meisterschaft der traditionellen ostasiatischen Zeichenkunst an, indem er sich mit seinem Pinsel der flüssigen Lebendigkeit dieser Technik bedient, und sie zu eigenen, kühnen Ergebnissen führt.
Ungeachtet der gegenständlichen Titelgebungen, die auch in seiner Malerei zum Naturmotiv führen, rückt der Künstler in der Zeichnung mehr oder weniger stark vom realen Gegenstand ab. Die spontane Linienführung in Tusche füllt als hochsensibles Instrument die helle Bildfläche mit festen, körperhaften und zugleich mit zarten grafischen Formen. Dabei führt die Überschneidung der Flächensetzungen und Liniengebilden zu räumlichen Wirkungen und spannungsreichen Gefügen. Die Raumwahrnehmung dieser Kompositionen, die auch aus dem Helldunkel-Kontrast des Schwarz-Weiß-Spektrums resultiert, wird teilweise durch Untergründe gesteigert, die wie z.B. in dem Blatt „Bäume“ von 2019 von unterschiedlicher Qualität sind. Brauchle sagt selbst, dass er es spannend findet, ältere Papiere zu verwenden oder solche, die schon eine gewisse Patina besitzen und daher bereits einen gewissen Impuls setzen. Die genannte Zeichnung mag das exemplarisch verdeutlichen. Es handelt sich dabei um das Innere eines ehemaligen Buchumschlags, dessen linke Seite sich gelblich verfärbt hat. Brauchles Zeichnung setzt links an und führt von einer großen kompakten Flächenform über die Kanten des Buchrückens nach rechts zu einer an dieser Stelle kurz abgesetzten breiten, geschlängelten Linienbewegung. Diese bricht dort im unteren Teil ab und wird von kurzen, dünnen Strichen beendet. Das Motiv, in nassen, weichen Pinselzügen entstanden, assoziiert trotz aller Reduktion die genannten Naturformen. Der großen schwarzen Fläche, die mit ihrem dünnen Fuß und dem geschwungenen Oberkörper an einen dicht belaubten Baum denken lässt, ist eine kleine, korrespondierende Form noch auf der linken Bildhälfte beigestellt. Nach rechts fließt die konkrete Vorstellung aus, beinahe so, als ob sich die bildnerischen Gedanken dort in Luft auflösen würden.
Die Variabilität der Zeichenflüssigkeit nutzend, verdünnt Ulrich Brauchle sein Malmittel auch, um damit verschiedene Valeurs zu erzeugen. Ein schönes Beispiel gibt die Zeichnung „Landschaft III“, ebenfalls aus dem Jahr 2019. Hierin ist zu sehen, dass damit die der Tusche eigene, gewisse körperlose Beschaffenheit zu ganz subtilen Wirkungen gebracht werden kann. Zum einen lässt sich durch einen transparenten Farbauftrag eine räumliche Wirkung erzielen, wie es in der die gesamte Breite des Bildes messenden und der Größe des Pinsels entsprechenden horizontalen Formulierung in der Bildmitte zu sehen ist. Darüber hinaus werden durch die Verflüssigung der Tusche ihre Komponenten sichtbar. So erkennt man in den transluziden Farbstellen körnige Elemente, die sich zu kleinen Insel aus Kohlepigmenten formen. Nähe und Ferne in diesem Motiv erzeugt Brauchle auch durch die Staffelung von dunklen, festen Formen, die Körperhaftigkeit und Nähe erzeugen, im Wechsel mit aufgelösten hellen Partien, die nach hinten wegtreten. Das Bild mit dieser konkreten Landschaftsanmutung unterscheidet sich auch in der Konstruktion des Raumes von den anderen Tuschezeichnungen in diesem Katalog. Ulrich Brauchle hat hier das Repertoire klassischer Bildgestaltung umgesetzt und Raummittel wie die seitlichen Repoussoiremotive und eine gegeneinander gesetzte, vertikale und horizontale Verspannung innerhalb des Bildgefüges verwendet. Weitaus freier drückt er sich dagegen in Zeichnungen aus wie „Dialog“ oder „Vogelweg“ oder in dem nur ganz wenige Bewegungen der Hand wiedergebende Blatt „Fall“.
„... die Abstraktion ist etwas Feines – sie zwingt mich, genau hinzuschauen und jede Handlung, die zum Bild führt, sorgfältig zu prüfen und zu überlegen. Stets folge ich dabei einer Spur. Der Weg zum fertigen Ergebnis kann dabei ein kurzer und ein direkter sein; er kann sich aber auch über einen langen Zeitraum erstrecken, merkwürdige Wendungen machen, die eingeschlagene Richtung ändern: Struktur in Chaos verwandeln und Chaos in Struktur. Ohne Spurwechsel komme ich nur selten ans Ziel...“.*
Ulrich Brauchle, dessen künstlerisches Schaffen gerne in der Tradition des abstrakten Expressionismus und des Informel gesehen wird, bezeugt mit dieser Aussage sein Anliegen, den inneren Bildern und seelischen Grundstimmungen über das Eindringen in die Eigenarten und Kräfte der Farben ein entsprechend freies, aber zugleich auch ordnendes Gefüge zu geben. Was in seinem zeichnerischen Werk noch mit Wenigem auskommt, hat im malerischen einen gewichtigen Ausgangspunkt: seine Leidenschaft für die Farbe, die sich nicht nur in ihrer Wirkung, sondern auch in der Sinnlichkeit des Materials ausdrückt. Pastos und schwer liegt das Öl auf der Leinwand. Daneben finden sich Farbspritzer und dünn aufgetragene Farbstellen oder Teilbereiche, bei denen der Untergrund frei gelassen ist. Der Malgrund wird nur leicht grundiert, damit er sich im Laufe der Zeit nicht verfärbt, und weil seine Naturfarbigkeit vom Künstler als sehr ästhetisch empfunden wird („Komposition“, 2016, Abb. S.32-33). Nass in Nass gemalt, kann die Farbe mit dem Spachtel wieder abgekratzt und überarbeitet werden, das Material macht es möglich. Neuerdings verlässt das Impasto die Fläche des Bildgrundes und macht sich über den Rand des Rahmens hinaus selbstständig. Auch in den Bildflächen herrscht eine differenzierte Räumlichkeit. Die erzielte Tiefe im Farbraum, so der Künstler, habe sich über die Jahre mit viel Erfahrung stark verändert, ausgehend von einer größeren Palette und dem damit verbundenen farblichen Variationsreichtum. Auch sind die teppichhaft gebildeten Räume fester sowie die Unterteilungen konkreter geworden. Die Vitalität der Malerei von Ulrich Brauchle findet nun auf der einzelnen Fläche eine bis ins Detail abgestufte Umsetzung, wie im Gemälde „Erinnerung“ von 2019 zu erkennen.
Mit jedem kleinen Eingriff verändert sich das Bildgefüge im Werden. Der Rhythmus der Farbsetzungen ist fließend, getragen von der Musik, die immer das Atelier erfüllt. Brauchle, Liebhaber von Klassik und Jazz, lässt sich beim Arbeiten musikalisch inspirieren, bisweilen finden Musiktitel und Bildtitel in eins zueinander („Greensleeves“, 2019). Von Absorption und Reflexion gekennzeichnet, spiegeln seine vitalen, sich auf den schöpferischen Instinkt verlassenden Gemälde nicht nur die Lust an der Malerei, sondern auch an einem Medium, durch das und mit dem sich der Begriff der Freiheit Ausdruck verschafft. So gesehen braucht es natürlich auch die Farbe.
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