Ulrich Brauchle stellt 41 Zeichnungen auf dem Ellwanger Schloss aus

 
von Petra Rapp-Neumann
veröffentlicht am 17.06.2021 auf schwäbische.de

Es ist eine stille, verschwiegene, genügsam in sich ruhende Welt, die der Ellwanger Künstler Ulrich Brauchle ab Sonntag im Atelier Knoedler im Schloss zeigt. 41 Zeichnungen, überwiegend im vergangenen Jahr entstanden, erlauben den Blick nach innen, öffnen Raum und Bewegung als Möglichkeit des Freiwerdens von inneren und äußeren Zwängen. „Eigentlich alles“, lautet der Titel einer Bleistiftzeichnung. Und so ist in diesen großartigen Zeichnungen „eigentlich alles“, um innezuhalten, die Mühsal des Alltags abzustreifen und einzutauchen in Brauchles Kosmos, der gerade in der begrenzten Fläche des Papiers den Blick auf das Unendliche freigibt. Mehr braucht es nicht. Dass der Künstler jedem Blatt einen sorgsam selbstgefertigten Rahmen mitgegeben hat, betont die Wirkung und vollendet den Eindruck in sich ruhender Geschlossenheit des „Stiftgebiets.“

Aus unterschiedlichen, über die Jahre gesammelten, unscheinbaren Papieren wurden Brauchles Zeichenblätter. Empfindsame Linien treten aus gebrochenem Weiß hervor, steigen und fallen, verdichten sich und wollen über den Rand hinausschießen, biegen sich kühn und schweben im Radius der Hand des Künstlers. Als Spur einer Gebärde vergegenwärtigen und füllen sie Leere. Als Fenster nach innen wie nach außen erlauben sie Nah- und Fernsichten gleichermaßen. Nichts ist gewollt. Alles ist in der Bewegung entstanden und kann durchaus als innere Befreiung von Zwängen begriffen werden, welche die Seuche dem Geist des Kreativen auferlegt hat. „Ein Blatt durfte nicht größer sein als der Tisch, an dem ich gesessen und gezeichnet habe“, sagt der Künstler. Der schlichte Holzstuhl begleitet ihn seit dem Studium. Die Fläche ist Begrenzung, Inspiration und Stimulans zugleich. In bewusster Reduktion auf sparsamste Mittel erzählt Brauchle Geschichten wie die vom „Vogel in einem Boot“, einer Bleistiftzeichnung gleichsam zwischen Wasser und Luft, mit der der Zyklus 2003 begann. Geschichten vom wehmütigen „Abschied von Bäumen“, von „Perugino“, dem Lehrer Raffaels, vom Wind und dem letzten Schnee eines langen Winters. Aus scheinbar unnahbarer, eisiger Fläche strecken wie verirrt, tastend und doch entschlossen erste Pflanzen noch kahle Linienstängel.

Von dem, der sich ihnen nähert, fordern diese in sich gekehrten Werke Zuwendung, Aufmerksamkeit, Konzentration und die Entscheidung, sehen zu wollen. Wer Ulrich Brauchles „Zeichensprache“ mit Muße lauscht, dem modelliert sie Wahrnehmung und macht sie den Blick frei für die Schönheit der Natur, ja der Welt in der Schönheit der Linie. Brauchles grafischer Kosmos überwältigt nicht durch überbordendes Maß und ist in seiner Zurückhaltung doch nicht zu übersehen. Mit Genuss folgt der Betrachter der klaren Linienführung zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, lässt sich anrühren und träumt sich mit dem Künstler in eine ebenso zeitlose wie aktuell schmerzlich entbehrte Freiheit.

Der Titel der Ausstellung „Stiftgebiet“ ist eine Hommage an den Dichter Robert Walser und dessen literarischen Nachlass „Bleistiftgebiet“, mehr als 500 „Mikrogramme“ in millimeterkleiner Schrift. Das ist das eine. Zum anderen weckt Brauchles grafisches „Stiftgebiet“ Assoziationen an das Atelier im „geistlichen Stift“ Ellwangen, an die Stiftung, die das Werk Karl-Heinz Knoedlers bewahrt und verbreitet, und an den Stift, sei es Blei oder Kohle, als einzigem über die Zeichnung gebietendem Medium. So bewusst die Askese, so reich die Fülle des Ausdrucks, so fesselnd die Eleganz filigraner Linien.



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