Mit Kunst dem Negativen entgegenwirken

 
von Petra Rapp-Neumann
veröffentlicht am 11.05.2022,  Ipf- und Jagst-Zeitung

Der Ellwanger Künstler Ulrich Brauchle erzählt über seine Formensprache

ELLWANGEN - Seine Werke setzen vielfältigste Assoziationen frei. Den Dialog mit dem Betrachter inszeniert er subtil, beinahe unmerklich. Er nimmt auf, was ihn umgibt. Menschen gehören nicht zu seinen bevorzugten Sujets. Vielmehr ist er fasziniert von der Natur in ihrer Fülle, im Wandel des Lichts, im Wechsel der Jahreszeiten. Natur ist für ihn nie nur Kulisse. Es geht nicht um Abbildung, nicht um Fassade oder den schönen Schein. Was er sieht, fühlt, wahrnimmt, bündelt er zu „optischen Gedichten“, wie er selbst sagt. In ausgewogener Balance von Figuration und Abstraktion hat er eine eigenständige Formensprache gefunden: Ulrich Brauchle.

Als Maler und Zeichner macht er von sich reden – nicht nur in seiner Heimatstadt Ellwangen, sondern weit darüber hinaus. Und zwar in der wohl schönsten Form überhaupt: Mit Kunst. Mit seiner Kunst. Er tut es ohne ideologisch verbrämten oder pathetischen Überbau, ohne genialische Attitüde und ohne verquaste Message. Inspiration für seine farbintensiven Bilder im großen und nicht zuletzt im kleinen Format findet er in der Natur und in der Stille, im flüsternden Rieseln der Zeit, vernehmlich für einen, der nicht nur hinsieht, sondern auch hinhört. Seine verschwiegenen Zeichnungen, die in der begrenzten Fläche des Papiers einen grafischen Kosmos offenbaren, folgen selbstgenügsam der feinnervigen Schönheit der Linie. Kühn erobert sie das Blatt, bündelt sich zum undurchdringlichen Dickicht, um schließlich sanft im Nirgendwo zu ersterben. Ihrer entschlossenen Klarheit, bewussten Askese und feinen Aura der Rätselhaftigkeit gibt sich der Betrachter mit Genuss hin und hatte im vergangenen Jahr mit Brauchles viel beachteter Ausstellung „Stiftgebiet“ willkommene Gelegenheit dazu.

Linien gestalten Fläche, pastose Farbfluten öffnen weite Räume. Ist die Begren-zung Stimulans für exquisite Zeichnungen, so sind Duft, Farbe, Atmosphäre die Inspiration für Bilder, die in opulentem Kolorit schwelgen oder mit pointiert und sparsam getupften Farbvaleurs eine Geschichte erzählen. Zum Beispiel die vom knorrigen Apfel¬baum auf der Streuobstwiese unterhalb des Schlosses, gebeugt, aber nicht gebrochen vom Wind und krumm vom Alter. Landschaft gliedert sich in lichtgraue Winterwege und farige Felder. Der Blick schweift über die Hügel der Alb und bleibt an unscheinbaren Feldsträuhern hängen. „Die Zeit steht hier still“, sagt Brauchle. Als Essenz eines Jahres, als Souvenirs meditativer Arbeitsstunden im Freien werden Landschaftsbilder zu „Zeit- und Konzentrierspeichern“, wie der Künstler es nennt. Es ist Malen mit allen Sinnen. Vertraute Motive scheinen der Zeit enthoben und halten zugleich den Augenblick fest. Wie heißt es doch bei Karl Kraus: „Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige.“

Von solcher Art sind die Werke des Ulrich Brauchle als Ausdruck der kreativen Kraft einer Malerei, die dem Negativen um uns herum bewusst entgegenwirken möchte. Den Wahnsinn der Welt obsessiv negativ abzubilden, ist seine Sache nicht: „Wirkli-che Kunst berührt anders.“ Die Musik begleitet den Schaffensprozess im Atelier im Schloss, seien es Glenn Goulds Goldberg-Variationen, Jazz oder Bob Dylan. Ihm hat Ulrich Brauchle einen Zyklus mit 16 Originalradierungen gewidmet, die zum viel beachteten Künstlerbuch in limitierter Auflage wurden.

Wie eng Malerei und Musik ineinander verwoben sind, hat kürzlich ein Abend in der Stadtkirche gezeigt. Kantor Reinhard Krämer und die Ellwanger Musici führten die BachKantate „Ich habe genug“ auf, Ulrich Brauchle machte in seinem Vortrag zu „Melancholie und Trauer in der bildenden Kunst“ die Zuhörer vertraut mit jener Geste, die wie keine andere bewegender Ausdruck von Kummer und Leid ist: Die Wange in die Hand geschmiegt, der Körper gebeugt unter der Bürde der Trauer. An Sankt Wolfgang in Ellwangen, so Brauchle, verkörpert die mutmaßlich von dem Gmünder Bildhauer Kaspar Vogt geschaffene Skulptur „Christus in der Ruhe“ tiefen Seelenschmerz auf einzigartige Weise.

Mitten ins Leben führen Brauchles abstrakte Bilder in den Schaufenstern des ehemaligen K&L-Modehauses als Galerie auf Zeit, die Farbe in die Stadt bringt und mit dem regelmäßigen Wechsel der Bilder auch immer neue künstlerische Aussagen.

„Ein Bild zu malen, ist wie ein Zimmer aufzuräumen“, sagt Ulrich Brauchle. Materie wandelt sich in Geistiges, Schönes wirkt positiv. Das darf Kunst nicht nur, sie muss es sogar: „Kunst muss das Schöne vermitteln, sonst ist sie nichts“, zitiert Brauchle Marc Chagall. Zeitgeist? Wer fragt danach, gibt es doch Bilder wie die von Ulrich Brauchle. Bilder, mit denen man gerne leben möchte.



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